In den traditionellen Hochburgen der Innerschweizer Schwyzerörgeli-Musik, wo jahrzehntelang die klassischen «Nussbaumer»-Instrumente den Ton angegeben haben, erobern heute Meisterinstrumente von Toni Flückiger mit bemerkenswertem Erfolg die Herzen der Spielerinnen und Spieler. Diese faszinierende Entwicklung war für mich Anlass genug, mit Toni Flückiger ein Gespräch über seine kunstvoll gefertigten Instrumente zu führen. Was macht eine «Toni Flückiger» so besonders? Und wie gelang es diesem Instrumentenbauer, eine neue Tradition zu begründen, die selbst im Vergleich mit den hochgeschätzten historischen Vorbildern mehr als nur bestehen kann?
Haeme Ulrich: Wie bist du zum Bau von Schwyzerörgeli gekommen? Gab es einen Auslöser-Moment?
Toni Flückiger: An den ersten Orgeln habe ich schon als Schulbube rumgebastelt und diese zerlegt. Zusammen mit meinem Vater und einem Freund haben wir unzählige Stunden in die Mystik der «Nussbaumer-Orgeln» gesteckt. Was ist der Grund, warum diese Örgeli dermassen klingen, ist es das Holz, die Stimmen oder gar das Alter der Orgeln? Was genau wusste Josef Nussbaumer über die Materie? Was steckt hinter der Mystik der «Nussbaumer-Orgeln»?

Haeme Ulrich: Was fasziniert dich an der Schwyzerörgeli-Musik im Innerschweizer-Stil? Was fasziniert dich an den traditionellen Innerschweizer-Instrumenten?
Toni Flückiger: Durch meinen Vater sind wir auf die «Mosibuebe» und deren einzigartigen Musikstil gestossen sowie auch auf weitere unglaubliche Formationen. Die alten Tänze von «Stump und Schmidig», «Pitschä» etc. sowie die Eigenkomposition der Gebrüder Lüönd haben uns auf Anhieb enorm gefallen. Die «Nussbaumer-Orgeln» haben der Musik ein unglaubliches Klang- und Tonvolumen verliehen. Hörte man Martin Nauer Senior auf seiner 36er «Nussbaumer» alleinig spielen, hätte man meinen können, es spiele ein ganzes Orchester. Für uns waren solche Begegnungen bis tief in den innersten Kern des Herzens prägend. Nach den «Nussbaumer» waren es auch die «Zürcher-Schmidig-Örgeli» und die «Zürcher-Örgeli», welche mich fasziniert haben.

Haeme Ulrich: Kannst du den Herstellungsprozess deiner Instrumente in groben Zügen skizzieren – von der Auswahl des Holzes bis zur Fertigstellung?
Toni Flückiger: Vor rund 10 Jahren habe ich mich wieder intensiver mit dem Bau von Schwyzerörgelis befasst. Als ich den Blockhausbau und den Timbersport an den Nagel gehängt hatte, war wieder Zeit für ein «neualtes» Hobby. Die Stunden kann man gar nicht zählen, das weiss wohl jeder, der sich mit dem Instrumentenbau befasst. Ich habe mich mit Lektüren von Instrumentenbauern befasst – geforscht in Mechanik, Holz, Lack, Stimmen-Material… Sechs Instrumente habe ich damals gebaut, in der konventionellen Grösse. Diese waren für mich damals eher durchschnittlich, zu den jetzigen Instrumenten kein Vergleich.
Während Corona hatte ich auf einmal Zeit und das Wichtigste: eine Vision von einem handlichen, leichten Instrument, mit guter Ansprache, einem starken Sound und vor allem allen Basstonarten.
Erst habe ich diese Vision im CAD (Computerprogrammen zum Entwerfen und Zeichnen von 2D- und 3D-Modellen) gezeichnet und anschliessend mit der CNC-Fräse das gelagerte Holz gefräst, Intarsien eingesetzt und Gehäuseteile verleimt. Da das «kleine Instrument» sehr wenig Platz bietet, musste ich die Mechanik dementsprechend neu konstruieren. Die Mechanikdrähte biege ich von Hand. Bevor die Stimmen eingesetzt werden, wird die Mechanik mit den Klappen eingepasst. Das Rohmaterial für die Stimmen kaufe ich ein. Die Stimmen an sich fertige ich aber dann doch selbst, da man dort noch viel herausholen kann.
Schlussendlich werden dann noch die Riemen und der Balg montiert. Die Bälge fertigt mir Sergio Theiler.

Haeme Ulrich: Welche Holzarten verwendest du, und worauf kommt es bei deren Auswahl an?
Toni Flückiger: Mit der Materie Holz befasse ich mich mein ganzes Leben lang. Als gelernter Forstwart und Holzskulpturen-Schnitzer ist dies für mich keine unbekannte Materie. Bei der Holzwahl braucht es einerseits das Wissen, andererseits aber auch das Gefühl und die Verbindung zum Holz. Ich verwende ausschliesslich Ahorn. Vor einigen Jahren durfte ich einen vielversprechenden Baum in einer speziellen Mondnacht bei einem Freund fällen. Es war nicht nur der Baum oder die Mondnacht speziell, sondern auch der Ort, wo der Baum gewachsen war. Irgendwie spürte und wusste ich es, dass es genau dieser Baum ist.
Haeme Ulrich: Du baust dreichörige Instrumente mit 24 Bässen in der Grösse der zweichörigen? Wie geht das? Und was ist der Vorteil?
Toni Flückiger: Es war eben meine Vision, von welcher ich mich habe leiten lassen. Der Vorteil ist die Handlichkeit, das Gewicht, die Ansprache, das grosse Klangvolumen und das Preisleistungsverhältnis. Die Instrumente benötigen kaum Kraftaufwand, um zu spielen. Bei gewissen Tänzen ist es natürlich praktisch, wenn der Balgwechsel nicht träge ist.
Haeme Ulrich: Wo liegen die grössten technischen Herausforderungen beim Bau eines Oberklasse-Schwyzerörgelis?
Toni Flückiger: Herzlichen Dank dir, für die lobende Bezeichnung meiner Örgeli. Im Gehäuse ist alles sehr eng. So konnte ich nicht einfach eine Orgel öffnen und kopieren. Ich musste alles umzeichnen, die Mechanik umkonstruieren und die Stimmplatten anpassen. Da der Klang essenziell für meine Ansprüche ist, musste ich wirklich das kleinste Detail prüfen.

Haeme Ulrich: Wer kauft «Toni Flückiger»-Örgelis (Profis, Laien, Sammler)? Wirst du der Nachfrage gerecht? Welche Lieferzeiten hast du? Magst du sogar die ungefähre Preisklasse verraten?
Toni Flückiger: Bis jetzt durfte ich schweizweit für Musikanten diverser Stilrichtungen Instrumente bauen. Auch für Musikanten, welche meine grossen Idole sind. Manchmal überwältigen mich die tollen Feedbacks fast und zugleich ist dies eine enorme Motivation weiterzumachen. Das grosse Interesse erfreut mich sehr – momentan dauert die Lieferzeit ein Jahr. Der Preis ist 15’000 Franken. Ich habe die Materialkosten sowie Aufwand und Zeit für mich mal so berechnet und werde den Preis auch so beibehalten. Ich glaube, für eine gestemmte 24er (24 Bässe) ist dies ein faires Preisleistungsverhältnis. Ich bin kein Fan von künstlichen Margen und so will ich mit meinen Instrumenten auch keine grossen Gewinne erzielen. Für mich ist die grösste Freude, dass die Musizierenden so begeistert sind.

Haeme Ulrich: Wie geht es weiter? Hast du neue Visionen? Wie vereinbarst du den Erfolg im Instrumentenbau mit dem Erfolg bei den Holzskulpturen?
Toni Flückiger: Die Wintermonate waren seit dem Lockdown eher ruhig. Diese Zeit habe ich vollumfänglich dem Örgelibau gewidmet. Da ich kein Wintermensch bin, ist dies für mich sehr stimmig, drinnen in der Wärme zu arbeiten. Im Sommer hingegen kann ich nicht drinnen sitzen. So nutze ich Schönwettertage, um draussen Skulpturen zu schnitzen und Schlechtwettertage sowie die Abende, Sonntage oder Betriebsferien, um mich dem Örgelibau zu widmen.
Ich durfte bereits auch Wienerorgeln oder Örgelis in verschiedenen Tonarten bauen. Da werde ich weiter dran bleiben und natürlich die Qualität halten. Demnächst wird noch eine kleine Halbwiener entstehen. Ich war immer der Macher, kaum hatte ich eine Idee, wurde diese materialisiert. Ich hoffe, dass ich noch viele Ideen und Visionen habe.

Haeme Ulrich: Wie wird sich der Schwyzerörgeli-Bau und die Schwyzerörgeli-Szene langfristig entwickeln?
Toni Flückiger: Es wäre schön, wenn die Schweizer Volksmusik auch bei den jungen Menschen weiterhin so beliebt ist. Was mich auch sehr erfreut, dass die alten Tänze nun mittels guter Aufnahmen und Noten für alle zugänglich sind. Das war vor dreissig Jahren noch ganz anders. Wie sich der Örgelibau genau entwickeln wird, kann ich jetzt nicht sagen. Das Rad neu zu erfinden, hätte schlussendlich keinen Sinn.
Weitere Infos und Kontakt
Website der Toni-Flückiger-Örgeli.
