Kasi Geisser (1899 bis 1943) war ein Schweizer Klarinettenspieler, Kapellmeister und Komponist. Seine Kompositionen beeinflussen noch heute die Volksmusik in der Schweiz. Die «Kasimusig» hat sich zur Aufgabe gemacht, Kasi Geissers Musik aufleben zu lassen. Dies sogar mit einem kürzlich erschienenen Tonträger «Musig und Gschichtä us Kasis Ziitä». Peter Holdener ist Teil der Kasimusig. Als Kenner gibt er Einblicke in das musikalische Schaffen von Kasi Geisser und teilt seine Gedanken zur neuen CD.
Hanspeter Ulrich: Was fasziniert dich an der Musik von Kasi Geisser? Wie würdest du den Musikstil von Kasi Geisser beschreiben? Welche Elemente sind in seiner Musik besonders wichtig?
Peter Holdener: Die Musik von «Kasi» ist sehr urchig, tänzerisch und lebendig und regt zum Gäuerlen an. Besonders seine Art, die Tänze perlend (Ausdruck vom Klarinettisten Emil Wydler), also Ton für Ton, aber trotzdem gebunden vorzutragen, hat mich von Anfang an begeistert. Genau das ist wichtig beim Vortrag der Kasi-Tänze – es muss plätschern wie ein kleines «Bärgbächlein».
Hanspeter Ulrich: Hast du eine Lieblingskomposition von Kasi Geisser? Warum gerade diese? Und welche ist die wohl bekannteste Komposition von ihm?
Peter Holdener: Ja, der Marsch «Frisch, fromm, fröhlich, frei» fasziniert mich besonders wegen des einzigartigen Basslaufs von «Handorgeler» Roman Stadelmann. Diesen Lauf setze ich zwischendurch auch ein. Der Marsch kann hier in einer Originalaufnahme von 1928 angehört werden.
Die bekannteste Komposition von Kasi Geisser ist sicher der Schottisch «Jetzt wird’s lustig» und, ebenfalls ein Schottisch, «Roman fährt Automobil». Der dritte Teil von «Roman fährt Automobil» hat einen interessanten Ursprung: Kasi habe 1928 an einem Musikkarussell in Lausanne den Titel «Im Automobil von Hamburg nach Kiel» (ursprünglich aus Amerika «The Brookly Cake Walk» von T. W. Thurban) gehört und anschliessend im Aufnahme-Studio vollen Stolz erklärt, er habe jetzt das passende Trio (dritter Teil) zu seinem neuen Schottisch und gebe ihm den Titel «Roman fährt Automobil». Karl Städeli hat dies miterlebt, seinem Sohn Heinz erzählt und Heinz hat es mir gesagt.
Hanspeter Ulrich: Was war vor Kasi Geisser? Wer hat ihn musikalisch beeinflusst?
Peter Holdener: Kasi Geisser wurde sicher als Erstes von seinem Vater Kasimir beeinflusst. Er war ein hervorragender «Schwyzerorgeler» und hat, als Kasi zur Welt kam, in Bauen am Urnersee Musik gemacht. Kasi wurde also musikalisch geboren. Als Kasi Geisser 1913 in der Lehre als Glasbläser den Trompeter und späteren Klarinettisten Dominik Märchy kennenlernte, eröffnete sich ihm eine neue musikalische Welt: Kasi hat zu dieser Zeit nebst Klarinette auch Trompete gespielt.
Dann lernte er die Musik des genialen Schwyzerorgeler Joseph Stump (heute eine Legende) kennen. Später hat Kasi Geisser mit ihm zusammen gespielt. Einige Teile seiner Tänze finden sich in Kasis Kompositionen wieder. Sicher hat ihm auch die Spielart von Joseph Stump Eindruck gemacht. Johann Fuchs von der «Hudeli-Musik» aus Einsiedeln war zweifellos auch ein Vorbild für Kasi.
Gotthard Müller aus Uri, ein weiterer Ländlertrompeter, war ein musikalischer Freund von Kasi und verhalf ihm zu einem gemeinsamen Auftritt an der ersten Mustermesse 1917 in Basel. Als Kasi Geisser zirka 1920 wegen Gotthard Müller ins Urnerland zog, wurde er von den Handorgelspielern Xaver Grossholz und Alexander (Xandi) Imholz beeinflusst. Mit den beiden hat er Musik und auch Aufnahmen gemacht.
Hanspeter Ulrich: Das Leben von Kasi Geisser war auch geprägt von Krisen. Was kannst du zu einem Künstlerleben in der Schweiz am Anfang des letzten Jahrhunderts berichten?
Peter Holdener: Als Kasi im Urnerland war und mit der Berufskapelle «Echo vom St. Gotthard» ganze Monatsengagements in Zürich, Bern etc. hatte, war es für ihn sicher einfacher, Geld zu verdienen, als wenn er Glasbläser gearbeitet hätte. Denn er war alleine, ungezwungen und hatte noch keine Familie. Später wurde er immer wieder wegen Musiknoten angefragt. Er hat diese aus dem Kopf neu aufgeschrieben und sehr günstig verkauft, manchmal für 50 Rappen oder einen Kaffee Lutz.
Er hätte viel mehr verdienen können mit seinem musikalischen Talent, denn er konnte mit einem Blatt Papier, einer Brissago im Mund und einem Glas «Moscht» oder «Kaffi» Lutz «zmitzt i dr lärmige Beiz» Tänze aus dem Kopf heraus aufs Papier bringen. Dies sogar für bis zu sechs Instrumenten-Besetzungen. Auch war er in der Lage, spontan eine wunderbare zweite Stimme zu spielen.
Als er später verheiratet war und seinen Sohn «Kaseli» hatte, war das alles nicht mehr so einfach. Er war kränklich und musste zudem bei den Monatsengagements auch viele Unterhaltungsstücke bereithalten und spielen, um noch dabei sein zu können. Dies alles, damit er seine Familie ernähren konnte.
Hanspeter Ulrich: Kasi Geisser soll damals am Volksmusikboom in der Stadt Zürich beteiligt gewesen sein. Wie ging das?
Peter Holdener: Ja, zu dieser Zeit, zirka 1929, drängten sich viele Ländlermusikanten nach Zürich, weil sie dort Arbeit fanden und ihre Musik spielen konnten. Denn Städtern gefiel diese unkomplizierte Musik, man vergass bei Bier und Wein einen Abend lang den tristen Alltag. Kasi wurde auf Werbeplakaten als «Direktor Casimir Geisser» angepriesen, war aber optisch eher ein scheuer Musikant, jedoch mit einem brillanten Spiel seiner Kompositionen. Stocker Sepp dagegen war ein richtiges Multitalent und hatte etliche Musikanten, die für ihn spielten. Der Höhepunkt war sicher die Landesausstellung 1939, wo Stocker Sepp die ganze Musik organisiert hatte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg verlor die Ländlermusik an Bedeutung, denn das Publikum konnte nun auch Musik aus Amerika und anderen Ländern hören.
Hanspeter Ulrich: Welchen Einfluss hat Kasi Geissers Musik auf die heutige Schweizer Volksmusik?
Peter Holdener: Viele bekannte Klarinettisten wie Alois Amgwerd, Dominik Märchy, Hermann Lott, Dominik Kürzi, Kaspi Muther, Emil Wydler, Thomas Marthaler, Ueli Mooser, Stefan Battaglia, Leo Kälin und Seebi Heinzer waren von seiner Spielart angetan, weil sie rund, urchig und nicht zu konzertant, steril war. Die anderen Bläser orientierten sich nachher eher an Jost Ribary senior, der einen eigenen Stakkato-Stil entwickelte, bei dem die Töne ganz klar voneinander getrennt sind. Einer der besten Kasi Geisser-Interpreten ist der «Klarinettler» Edi von Euw aus Arth. Er, die Gebrüder Albert und Franz Marty (Wienerorgel) und Sity Domini am Bass pflegten die Urner-Musik von Kasi um 1922. Erwähnenswert ist die Kapelle «Zoge-n-am-Boge» mit Emil Wydler, Thomas Marthaler, Josias Jenny und Sepp Bleiker. Sie haben die Geisser-Musik neu belebt und gepflegt. Als Ueli Mooser mit der Klarinette dazu kam, schrieb er auch wunderbare zweite Stimmen für die Geisser-Tänze. Also würde ich sagen, die urchige, runde, schwungvolle Musik, egal ob Schwyzerörgeli, Handorgel oder Klarinette, ist von Kasi geprägt.
Hanspeter Ulrich: Eure neue CD «Musig und Gschichtä us Kasis Ziitä» umfasst 14 Kompositionen von Kasi Geisser. Wie kam es zu der Idee, eine Kasi-Geisser-Produktion zu machen?
Peter Holdener: Die glorreiche Idee hatte unser Klarinettist Werni Fuchs, weil er ein Engagement an der Markthalle-Stubete in Basel hatte (also wie Kasi 1917 auch in Basel, hi, hi, hi, Zufall?) und es seiner Kapelle «Fuchs-Bissig» terminlich nicht passte. So wollte er für diesen Einsatz eine andere Formation zusammenstellen.
Werni Fuchs hat mich einmal in Goldau gehört, als ich mit dem Ländlertrio «Zoge-Musig» (Beat Jenni, Klarinette; Ruedi Zurfluh, Kontrabass) Geisser-Tänze mit meiner Wiener-Orgel gespielt hatte und wurde dadurch inspiriert, auch wieder Stücke von Kasi Geisser zu spielen. Meine Begleitung gefiel ihm anscheinend und er fragte den Bassgeiger Toni Bürgler junior und mich für das «Kasimusig-Projekt». Unser Auftritt in Basel in alter Kleidung war ein voller Erfolg und die Geschichte mit der CD nahm ihren Lauf. Die CD ist besonders wertvoll, weil sie vier Geschichten von Kasi enthält, die vom Urner Autor Hans Arnold vorgetragen werden. Dadurch ermöglicht sie den Zuhörern eine faszinierende Zeitreise in eine vergangene Welt.
Hanspeter Ulrich: Welche Kriterien haben bei der Auswahl der 14 Titel für die CD eine Rolle gespielt? Gab es Stücke, die für euch persönlich besonders bedeutungsvoll sind?
Peter Holdener: Wir haben unserem Klarinettisten gerne die Auswahl überlassen. Es hat bekanntere und eben auch unbekannte Titel drauf. Einen besonderen Wunsch konnten wir unserem Bassgeiger Toni mit dem Walzer «Halb schweizerisch, halb italienisch» erfüllen, welchen wir sehr gefühlvoll einspielen konnten.
Hanspeter Ulrich: Wie beschreibst du den Sound und das Auftreten der «Kasimusig»? Was macht ihr anders als andere Formationen, die auch Kompositionen von Kasi Geisser spielen?
Peter Holdener: Da wir uns an den alten Aufnahmen von 1928 mit Kasi Geisser, Roman Stadelmann und Bierkari orientieren, sind wir genau in dieser Trio-Besetzung wie dazumal unterwegs. Meine Rückwärts-Chromatische Nussbaumer-Wiener von zirka 1929–32 und der rund 130-jährige Bass von Toni passen da natürlich wunderbar. Und dann eben optisch, wir sind auch nostalgisch angezogen. Und Werni erzählt wunderschöne Geschichten und Legenden «us der alten Ziit».
Hanspeter Ulrich: Wie kommt eure nostalgische und doch zeitgenössische Musik an? Wie sind die Reaktionen?
Peter Holdener: Wir hatten, wie vorhin erwähnt, in Basel einen grossen Erfolg und sind bereits bekannt als die «Kasimusig». Eine Frau hat mir vor unserem Auftritt in Basel erzählt, dass ein Bekannter ihr geraten habe: «die Kasimusig muesch unbedingt go losä». Da waren wir schon etwas paff, wenn uns der Ruf vorauseilt.
Auch an unserer ersten CD-Vorstellung waren ungefähr hundert Leute da und es war mucksmäuschenstill. Ich durfte von verschiedenen Seiten und Musikanten Komplimente entgegennehmen. Doch die grösste Freude haben wir für uns, diese alten, schönen Tänze zu spielen und zu erleben.
Hanspeter Ulrich: Wie geht es weiter mit der «Kasimusig»? Auf eurer Website sind auch Auftritte jenseits der CD-Vorstellung gelistet?
Peter Holdener: Die «Kasimusig» ist ein richtiges Herzensprojekt geworden und wir haben schon einige Auftritte, CD-Vorstellungen etc. fürs 2025 geplant. Eine besondere Freude: Wir dürfen dank unseres Geschichtenerzählers Hans Arnold in Altdorf (UR) bei der Montagsmusik spielen. Und sogar am legendären «Heirassa-Festival» werden wir dabei sein.
Auch pflegen wir die nostalgische Seite weiter und widmen uns den Spuren vom Kasi im Urnerland, speziell der Axenstrasse. Übrigens, hierzu ein kleiner Bericht auf der Kasi-Seite auf Facebook.
Hanspeter Ulrich: Wo kann die CD bezogen werden?
Peter Holdener: Auf unserer Website www.kasimusig.ch gibt es einiges Interessantes von uns und Kasi Geisser zu lesen – die CD kann direkt über [email protected] bestellt werden.