Kürzlich habe ich mit Jürg Müller ein Interview geführt über MIDI-Örgelis aus dem 3D-Drucker. Mittlerweile war ich zu Besuch in Jürgs Werkstatt und konnte auf so einem Instrument spielen. Ich hatte auch Einblick in die Software, welche zusammen mit dem Örgeli aus dem 3D-Drucker ein vollumfängliches «Midi-Örgeli-Ökosystem» macht. Im Beitrag hier geht es um die Praxis, um neue Möglichkeiten mit dem gedruckten MIDI-Örgeli.
Das Instrument
Noch vor der Pizza meinte Jürg: «Spiel doch schnell, bevor es zum Essen geht!» Das habe ich gemacht. Örgeli in die Hände genommen: fühlt sich an wie ein klassisch gebautes Schwyzerörgeli. Knöpfe, Balg und Luftverbrauch wie bei einem analogen Instrument. Unterschied zwischen Drücken und Ziehen, auch wie gewohnt. Die Empfindlichkeit der Dynamik kann sogar mit fünf unterschiedlichen Stufen selbst geregelt werden. Und der Klang? Der wird digital erzeugt, tönen tut es aus dem Lautsprecher. Sehr angenehm dabei: wegen der Bluetooth-Verbindung kommt das Instrument ohne Kabel aus.
Der Klang
Die Qualität des Klangs hängt direkt von der Qualität des verwendeten Synthesizers ab. Denn ein MIDI-Örgeli erzeugt keine Töne, es generiert MIDI (Musical Instrument Digital Interface)-Signale, welche erst im Synthesizer zu hörbaren Tönen umgewandelt werden. Das Örgeli von Jürg Müller hat einen einfachen Synthesizer eingebaut. Dieser ist für den Gebrauch mit Kopfhörer gedacht.
Das MIDI-Örgeli von Jürg Müller hat bewusst keinen Verstärker integriert. Wer also akustisch spielen will, benötigt einen passenden Verstärker, vornehmlich auch einen Synthesizer mit hochwertigen Instrumenten-Klängen. Wobei der Synthesizer auch bloss eine App sein kann, etwa «Turbosounds», eine von MIDI-Akkordeonisten geschätzte App.
Die Entwicklung
Jürg Müller hat von der Idee bis zum ersten spielbaren Örgeli rund anderthalb Jahre gebraucht. Geforscht und entwickelt hat er an einer steirischen Harmonika, die er preiswert importieren konnte. Überhaupt läuft rund um MIDI bei der steirischen Harmonika weit mehr als beim Schwyzerörgeli – «vermutlich, weil der volkstümliche Schlager, welcher häufig mit dem steirischen Harmonika gespielt wird, sich für MIDI-Klänge ausgezeichnet eignet», erklärt Jürg.
Die Software
Als erfahrener IT-Spezialist schätzt der Entwickler Jürg Müller die Vorteile von Open-Source-Software. Open-Source-Software ist Software mit Quellcode, den alle einsehen, verändern und weiterentwickeln können. Jürg entwickelt auch mit Open-Source-Software und stellt das, was er programmiert hat, auch der Community zur Verfügung.
Jürg schreibt seine Software in 64-bit, was sie dank «Wine» Plattform unabhängig macht. So kann die für Windows entwickelte Software auch auf dem Mac und unter Linux ausgeführt werden. «Wine» ist ein Programm, mit dem man Windows-Software auf anderen Betriebssystemen betreiben kann. Man benötigt dafür nicht mal eine Windows-Installation auf seinem Computer.
Fürs Zeichnen der Leiterplatten nutzt der erfahrene Entwickler aus dem aargauischen Nesselnbach KiCad, selbstverständlich auch eine Open-Source-Software.
Das Notenschreiben
Mit den durchs MIDI-Örgeli generierten MIDI-Signalen kann nicht bloss musiziert werden. Die Signale sind eindeutige Anweisungen, mit welchen zum Beispiel auch Noten geschrieben werden können. Auch daran hat Jürg Müller gedacht. Seine frei verfügbare Software kann aus den gespielten MIDI-Signalen eine Datei für das Notensatz-Programm MuseScore (OpenSource) erstellen. Und zwar in Griffschrift! Griffschrift ist das am weitesten verbreitete Notensystem fürs Schwyzerörgeli.
Der Ablauf zum Notenschreiben ist somit:
- Spielen der Melodie auf dem MIDI-Örgeli.
- MIDI-Datei durch die Software von Jürg Müller in eine MuseScore-Datei konvertieren.
- Erzeugte Datei in MuseScore öffnen und als PDF, oder was immer gewünscht ist, zur Verfügung stellen.
Pikantes Detail: Die Software, welche aus der MIDI-Datei die MuseScore-Datei macht, kann mit unterschiedlichen Belegungen des obersten und untersten Kreuztones auf dem Örgeli umgehen.
Das Gespielte als Video
Seit die Videoproduktion durch Smartphones zum Allgemeingut geworden ist, lernen immer mehr Örgelerinnen und Örgeler neue Stücke ab Videos. Auch hier kann Jürgs «System» helfen. Der findige Entwickler hat eine Software geschrieben, welche die gedrückten Töne auf einer Grafik des Griffbretts abbildet (siehe Video). Die Farbe der gedrückten Töne zeigt an, ob dabei der Balg gedrückt oder gezogen wird. Zum Einspielen weit weniger aufwendig als Filmen und Schneiden und zum Lernen bequemer, weil die Finger nie die gedrückten Töne verdecken. Eine Art «Grifftabelle 2.0».
Grundlagen erarbeitet, Interessierte gesucht
«Um nochmals mit einem langfristig am Markt verfügbaren Produkt durchzustarten, bin ich zu alt», meint der rüstige Rentner. «Gerne würde ich daher mit jemandem eine Zusammenarbeit starten», beschreibt Jürg seine Idee für den nächsten Schritt in den Markt. Das wäre tatsächlich toll! Daher hier der Aufruf: Wer sich ernsthaft interessiert, mit Jürg zusammen die nächsten Schritte in den Markt zu unternehmen, kann sich bei mir melden. Ich übergebe den Kontakt dann Jürg Müller.
Das Fazit
Dank des 3D-Drucks, cleverer Hardware, Open-Source-Software, viel Erfahrung und Herzblut ist es Jürg Müller gelungen, ein marktreifes MIDI-Örgli mit Software-Erweiterungen für unter 2000 Schweizer Franken zu bauen. Das Instrument eignet sich zum Musizieren mit MIDI-Klängen und zum Schreiben von Noten wie auch zum Erstellen von Videos, welche die gedrückten Knöpfe anzeigen.